Meilensteine der Geschichte der mRNA (Impfstoffe) - Teil 1

Wer zuerst mRNA und die damit mögliche Impfung entdeckt hat, ist Gegenstand verschiedener Darstellungen. Geht es doch möglicherweise um einen zukünftigen Nobelpreis sowie um andere Ehrungen verschiedener Art. Etwas tiefer recherchiert, finden sich Ereignisse und Einsortierungen, die manch anderer Übersicht fehlen. Und es zeigt sich, dass spannende Kopf-an-Kopf-Rennen verschiedener Beteiligter nicht erst in jüngster Zeit stattfinden. Allerdings hat die Entdeckung der mRNA an sich nicht zu einer Verleihung eines Nobelpreises geführt.


Meist wird das Jahr 1961 als das Entdeckung-Jahr angeführt, beruhend auf gleich mehreren Veröffentlichungen rund um das Thema mRNA. Der Sommer 1961 war ein Höhepunkt "wissenschaftlicher Aufregung", da in dieser Zeit nicht nur die vermeintliche Entdeckung der mRNA gefeiert wurde, sondern auch die Entzifferung des genetischen Codes.  Matthew Cobb, der im Jahre 2015 eine hervorragende Übersicht zur mRNA-Historie verfasst hat, schreibt dazu: "Obwohl die mRNA von entscheidender Bedeutung für unser Verständnis der Genfunktion ist, wurde für ihre Entdeckung kein Nobelpreis verliehen. Die große Zahl der beteiligten Personen, die Komplexität der Ergebnisse und der verschlungene Weg, der vor mehr als einem halben Jahrhundert eingeschlagen wurde, zeigen, dass einfache Prioritäts-Behauptungen nicht unbedingt der Arbeitsweise der Wissenschaft entsprechen."


Was vor 1961 passierte


Grundstein war laut Cobb der 1944 von Avery et al. geführte Nachweis, dass DNA das Erb-Material ist und nicht die Proteine, wie viele Wissenschaftler davor annahmen. Die erste Hypothese dazu, wie RNA in das Konzept der Gen-Funktion passen könnte, kam 1947 aus einem Pariser Labor von André Boivin und Roger Vendrely, die in einer englischen Zusammenfassung ihrer auf Französisch verfassten Publikation ausführten: "Die makromolekularen Desoxy-Ribonukleinsäuren steuern den Aufbau der makromolekularen Ribonukleinsäuren, die ihrerseits die Produktion der zytoplasmatischen Enzyme steuern."

Watson (links) war erst 24 als er mit Crick (rechts) die Publikation veröffentlichte, die erstmals die DNA-Struktur beschrieb (Bild)

Francis Crick’s unveröffentlichte Skizze von 1956 zum zentralen Dogma (Bild: Wellcome Library, London)

Noch in den 1950ern gab es keine genaueren Erkenntnisse dazu wie der Prozess der Gen-Expression (Umsetzung der Gen-Information in Gen-Produkte) funktioniert. Und das, obwohl James Watson & Francis Crick die DNA-Struktur (Doppelhelix) 1953 aufklärten, wofür sie 1962 den Nobelpreis erhielten. Später stellte Crick zwar erste Überlegungen dazu an, wie (Erb)-Information in der Zelle transferiert wird (1957 nannte er das in einem öffentlichen Vortrag "zentrales Dogma"). Die spezielle Rolle von RNA als Bote (messenger RNA = mRNA) fehlte jedoch in seinen Hypothesen, die nur die mit Aminosäuren beladene Transfer-RNA (tRNA) sowie die ribosomale RNA (rRNA) postulierten.

Eine Reihe von Forschungs-Ergebnissen flankierten diese Resultate, die das Vorhandensein kurzlebiger RNA als Intermediär, das von Genen abstammt, beschrieben:


  • 1950 | Jeener & Szafarz von der Universität Brüssel stellten die Hypothese auf, dass RNA im Zellkern synthetisiert wird, dann in Form kleiner Moleküle in das Zytoplasma gelangt und wieder verschwindet
  • 1952 | Monod, Pappenheimer & Cohen-Bazire vom Institut Pasteur in Paris wiesen nach, dass das RNA-spezifische Nukleotid Uracil notwendig ist, damit es zur Protein-Synthese kommt
  • 1953 | Hershey, Dixon & Chase vom Cold Spring Harbor Labor auf Long Island zeigten auf, dass Bakterien, die von Phagen (Viren, die Bakterien befallen) infiziert wurden, eine Form von RNA produzieren, die in hohen Mengen auftritt, dann aber schnell abgebaut wird
  • 1956/58 | Volkin & Astrachan vom Oak Ridge National Laboratory (ORNL) in Tennessee untersuchten radioaktiv markierte RNA, die nach Phagen-Infektion ebenfalls nur vorübergehend vorlag. Sie interpretierten diese als Vorstufe zur DNA und nannten sie "DNA-ähnliche RNA"
  • 1960 | Nomura, Hall & Spiegelman von der Universität Illinois verfeinerten den Ansatz von Volkin & Astrachan und fanden heraus, dass nach Phagen-Infektion zwei Formen an RNA synthetisiert werden: eine, die zu den Ribosomen (Protein-Fabriken) gehört und eine die sich frei im Zytoplasma befindet. Letztere erachteten sie entweder als Vorstufe oder Abbau-Produkt der ribosomalen RNA (rRNA) oder als Träger der Aminosäuren (tRNA)


Cobb analysiert in seinem Essay, dass jede dieser Veröffentlichungen allerdings entweder basierend auf fehlenden Nachweisen spekulative Schlussfolgerungen zog. Oder, umgekehrt, wurden vorliegende Nachweise falsch interpretiert. Gleichzeitig forschten Ende der 1950er Wissenschaftler am Institut Pasteur in Paris daran, ob bzw. wie Gene reguliert werden. In diesem Zusammenhang fokussierten sie sich auch auf ein "mysteriöses" Boten-Molekül, das sie "X" nannten. 1959 sprachen Pardee, Jacob & Monod in einer Publikation von einem "cytoplasmic messenger" ohne sagen zu können, aus was dieser besteht.

Im April ​1960 kam es dann zu einem Zusammentreffen der Pariser Forscher mit Kollegen aus England von der Universität Cambridge, die an der Entzifferung des genetischen Codes arbeiteten: Sydney Brenner und der DNA-Strukturist Francis Crick. In gemeinsamer Diskussion wurde schnell klar, dass es sich beim Molekül "X" um die von Volkin& Astrachan und anderen beobachtete kurzlebige Form von RNA handeln könnte.


Die ribosomale RNA charakterisierte Crick als inerte Zell-Struktur, die wie ein Tonkopf in einem Kassetten-Rekorder funktioniert: die neu identifizierte mRNA entspricht dem Tonband, das Informationen von der DNA kopiert und die Information zu den Ribosomen (Tonköpfen) trägt, die das Tonband auslesen. Francois Jacob und Sydney Brenner wollten diese Hypothese schnellstens überprüfen, was ihnen mithilfe von Matt Meselson vom Caltech (California Institute of Technology) in Pasadena bald gelang.

Ungeachtet dieses spannenden Treffens hatten sich allerdings auch andere Forscher auf der Welt daran gemacht, mRNA zu identifizieren und ihre Rolle aufzuklären:  James Watson, der andere DNA-Strukturist, der nun an der Harvard Universität tätig war, zusammen mit seiner Gruppe (Robert Risebrough, Charles Kurland und Wally Gilbert) sowie mit Francois Gros und Howard Hiatt vom Institut Pasteur

Das Kopf-an-Kopf-Rennen von 1961


Lesen Sie weiter in Teil 2 dieser Serie ...


Verwendete Quellen:

 

  • Matthew Cobb, "Who discovered messenger RNA?", Current Biology (Jun 2015); Bildquelle Crick's Notizen
  • Ingmar Hoerr, Gründer von CureVac, in FierceBiotech (Jul 2013)