Teil 1 der Serie zur Geschichte der mRNA (Impfstoffe) befasste sich mit den Ereignissen vor 1961, das in vielen Publikationen als das Entdeckungs-Jahr der mRNA gilt. In 1961 startete dann ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Arbeitsgruppen der Universitäten Cambridge in England (Brenner) und Harvard in den USA (Watson) sowie dem Pariser Institut Pasteur (Jacob & Monod).
Die Gruppe von Watson sah sich schon fast am Ziel. Sie fanden heraus, dass die Protein-Synthese stattfindet über Aktivitäten eines vergänglichen Moleküls, das sie "template RNA" tauften. Watson, der sich statt James auch Jim nannte, hörte von dem bei Nature eingereichten Manuskript von Brenner, Jacob & Meselson. Daraufhin bat er Brenner in einem Telegramm vom Februar 1961 mit der Veröffentlichung zu warten. Watson wollte sein Manuskript noch fertigstellen, mit dem Ziel der Bekanntgabe der Forschungs-Ergebnisse beider Gruppen über zwei Artikel in derselben Ausgabe von Nature. Diese erschien dann im Mai 1961:
- Brenner et al. | An unstable intermediate carrying information from genes to ribosomes for protein synthesis (Seiten 576-581)
- Gros et al. | Unstable ribonucleic acid revealed by pulse labelling of Escherichia coli (Seiten 581-585)
Telegramm Watson an Brenner (Feb 61)
(Bild: Cold Spring Harbor Laboratory)
Das Operon-Modell
(Bild: Institut Pasteur)
In der Zwischenzeit arbeiteten aber auch die Pariser Forscher Jacob & Monod weiter an ihrem Modell der Gen-Regulation und tauften ihr Molekül "X" um in "messenger RNA". Sie führten damit den Begriff des "Boten" in einem Gesamt-Konzept ein und nutzten erstmals das Kürzel mRNA. Ihre Erkenntnisse fassten sie in einem langen Artikel zusammen, der ebenfalls im Mai 1961 im Journal of Molecular Biology erschien: "Genetic regulatory mechanisms in the synthesis of proteins" war der Titel. Er beschrieb das sogenannte "Operon-Modell" der Gen-Regulation.
Beide Forscher erhielten dafür 1965 den Medizin-Nobelpreis.
Bereits im April 1961 erschien eine Veröffentlichung von Matthaei & Nirenberg zum Thema zellfreie Protein-Synthese. Sie beschäftigten sich ebenfalls mit den Ribosomen und nutzten den Begriff "messenger RNA" ohne aber eine genaue Einordnung vorzunehmen sowie andere Publikationen zu zitieren. Ihre größte Errungenschaft waren Experimente, die Grundlage zur Entzifferung des genetischen Codes waren. Die Ergebnisse veröffentlichten sie im Oktober 1961.
1963 wiesen weitere Wissenschaftler nach, dass virale Nukleinsäuren die Produktion von Interferon in infizierten Zellen anstoßen. In 1969 lieferten dann Lockard & Lingrel den ersten Nachweis zur in-vitro Translation von mRNA.
Kleiner Exkurs in die Wissenschaft
In-vitro steht für "im Reagenzglas", Translation steht für Übersetzung: Die körpereigenen Protein-Fabriken (Ribosomen) setzen die als DNA-Kopie in der mRNA gespeicherte Erb-Information in Proteine um (siehe auch "Biotech Verstehen"). Die Information in der mRNA ist eine "chemische Sprache" basierend auf vier Buchstaben. Es ist eine Art Instruktion für die in den Körper-Zellen vorhandene Protein-Maschinerie, die um millionen-fach effizienter ist als jedes Labor. Die Zell-Maschinen produzieren Billionen von Proteinen für die normale Körper-Funktion und das jeden Tag.
mRNA-Impfstoffe geben den Körper-Zellen eine zusätzliche kleine Information, so dass der eh ablaufende Produktions-Prozess ein paar mehr Proteine produziert, nämlich Virus-Hüllen-Proteine.
Diese erkennt das menschliche Immun-System als Antigen (Antikörper generierend, Art Trigger-Signal) und bildet daraufhin Antikörper. mRNA in einem Labor synthetisch hergestellt und in Körper-Zellen eingebracht, kann theoretisch instruieren die Produktion von:
- viralen und tumorspezifischen Antigenen
- Krebs-blockierenden Moleküle
- Designer-Nukleasen (hochpräzise "Genscheren") zur Reparatur defekter Genome
- Herz- oder anderes Gewebe durch Stimulation von Stammzellen.
Eine mRNA-Therapie ist also wie eine "Software des Lebens" oder wie ein "Betriebs-System der Medizin".
Weitere Meilensteine bis in die 1990er Jahre
Doch weg von der Zukunft und zurück in die Historie. Wir waren stehen geblieben im Jahre 1969 und dem Nachweis der in-vitro-Translation von mRNA. Ein paar der weiteren Meilensteine bis in die 1990er im Kurz-Überblick (nur Erstautor genannt):
- 1978 | "Liposome-entrapped mRNA delivery": Einschleusen von in Fettkügelchen verpackter mRNA in Zellen | G. Dimitriadis
- 1984 | in-vitro-Transkription mittels RNA-Polymerasen: Ablesen und Überführen der DNA in RNA durch spezielle Enzyme, die die Polymerisation (einzelne RNA-Bausteine, die Monomere, werden zu Ketten, Polymere, zusammengefügt) katalysieren | P. Krieg
- 1989 | "Cationic liposome mRNA delivery system (DOTMA)": in-vitro synthetisierte mRNA in Zellen eingeschleust und exprimiert; Hypothese für Gen-Therapie bzw. mRNA als Medikament zu nutzen; Impfstoffe nicht angesprochen | R. Malone
- 1990 | Nachweis der in-vivo Translation von nackter mRNA (ohne Fetthülle) in Mäusen | J. Wolff
- 1990 | Anmeldung eines Patentes: "The method can be used to deliver a therapeutic polypeptide to the cells of the vertebrate, to provide an immune response upon in vivo translation of the polynucleotide, to deliver antisense polynucelotides, to deliver receptor to the cells of the vertebrate, or to provide transitory gene therapy"; keine konkreten Nachweise zur Impfung, nicht weiter verfolgt | Felgner, Wolff, Rhodes, Malone, Carson, Firma Vical
- 1992 | Mithilfe von in Ratten-Hirn gespritzter mRNA, die für Vasopressin kodiert, ließ sich bei Ratten Diabetes korrigieren | G. Jirikowski
- 1993 | mRNA, kodierend für ein Grippevirus-Nukleoprotein, stimuliert in-vivo Bildung zytotoxischer T-Zellen bei Mäusen; Diskussion der Relevanz für Impfstoff-Entwicklung; nicht weiter verfolgt | F. Martinon
- 1995 | Erstmalige "Krebs-Impfung" über mRNA, die für ein Tumor-Antigen (spezifische Oberflächen-Moleküle auf Krebs-Zellen) kodiert: Immun-System von Mäusen entwickelt Antikörper | R. Conry
- 1997 | Erste Firma zur Entwicklung von mRNA-Krebs-Impfstoffen: aus der Duke University von Eli Galboa ausgegründet, wollte Dendritix (ab 1999 Merix Bioscience) ursprünglich 2005 mit den neuartigen Impfstoffen auf dem Markt sein; 2004 erfolgte die Umbenennung in Argos Therapeutics (Insolvenz im Dez 2018, Relaunch als CoImmune in 2019)
- 1999 | Erster Nachweis einer Immun-Antwort über T-Zellen nach Injektion von spezifischem Antigen eines Haut-Tumors | W. Zhou
- 1990er | erste Veröffentlichungen bzw. Patent-Anmeldungen von Katalin Karikó und Ingmar Hoerr (weiteres siehe Teil 2)
Für beide Anwendungen der mRNA, als Impfung gegen virale Infektionen sowie gegen Krebs, fanden Forscher heraus, dass das Immun-System mit der Bildung von Antikörpern und Killer-Zellen reagiert. Die 1990er Jahre legten also den Grundstein für weitere Fortschritte im neuen Jahrtausend.
Verwendete Quellen:
- Spezieller Dank an Laudea Research (Patentrecherche & -Analyse) sowie ihre Vertreterinnen Dr. Anna Wieczorek und Sylwia Owczarek Jacobsen (Sep 2021)
- Tamseel Fatima und Dr. Andreas Ebertz, Eurofins Genomics, publiziert auf Blog (Apr 2021); Bildquelle mRNA-Impfstoff Funktionsweise
- Institut Pasteur zur Entdeckung der mRNA in 1961, publiziert als News (Feb 2021); Bildquelle Operon-Modell (Titelbild)
- Matthew Cobb, "Who discovered messenger RNA?", Current Biology (Jun 2015); Bildquelle Watson's Telegramm
- Ugur Sahin, Katalin Karikó und Özlem Türeci, BioNTech SE , Nature (Sep 2014)